RADPLAN DELTA
 
Dieses ist ein magerer Versuch zum Verstehen der Magie des Mont Ventoux.
 
Es muss so 20 Jahre her sein, dass ich zum ersten Mal mit dem Wagen die N7 runterfuhr mit dem Vorsatz,
auf diesen Berg zu gehen, von dem man Besonderes erzählte. Ich war die Nacht durchgefahren, nun wurde es hell und in kristallklarer Luft lag er vor mir. Das letzte Stück der Strasse von Vaison nach Malaucene war wie eine Andacht. Ich blickte zum Gipfel, der eine breite Wolkenmütze an hatte, ein Bild, dass ich später noch oft sehen sollte, dessen Bedeutung ich aber damals nicht kannte. In Malaucene machte ich mein Rad fertig, das im Kombi gelegen hatte.
Udo Hack hatte mir ein paar wunderbare 180er Record - Kurbeln verkauft, auf denen ich 53x41 fuhr.
Als Ritzel war ich mit 13-25 unterwegs, das schien mir schon gross.
 
Es waren vielleicht 7 Uhr, als ich tatsächlich aufbrach. Die Sonne war angenehm mild zu dieser frühen Stunde.
In meiner Erinnerung war ich aufgeregter als vor jeder Prüfung, die ich bislang erlebt habe. Meine Beine meldeten Anspannung, die ich aber ignorierte. Der Aufstieg der Nordseite ist geprägt von Steigungswechseln, anders als die Südseite. Es ist eine Frage der Grundeinstellung, ob man sich über einen Rückgang der Steigung auf 6% freut oder die Verschärfung auf 11% bejammert. Zeit vergeht, und wer mit ganzem Herzen Berge fährt, kennt vielleicht die Erscheinung, dass eine Stunde keine Bedeutung mehr hat.
Bedeutung hat, ob man weiterfährt, ob man dem Gipfel näherkommt, ob man ihn erreicht. Die verstrichene Zeit ist nichts, unser Bewusstsein macht sich an Kurven, an Gerüchen, an der Qualität des Asphalts fest,
aber nicht an der Uhr.
Weit oberhalb des Mont Serein lernte ich die Wolkenmütze des Ventoux kennen. In der Auffahrt, die oben auf 6 % zurückgeht, bedeutete sie nur eine Wegnahme der Sicht. Mein Körper dampfte unter der physischen Arbeit,
ich hätte auch nackt fahren können. Die letzten Kehren waren geprägt von dieser Unwirklichkeit der Steinwüste,
die ich mit der noch übrigen Energie wahrnahm. Irgendwann stehst du vor dem Turm, dem bekannten. Seine Ausstrahlung ist unnahbar, kein Turm hat auf mich je so tot und kalt gewirkt. Er ist objektiv weiss, doch die Erfahrung der Auffahrt kann ihn erscheinen lassen, als sei er aus silbrigem Eis. Seine Oberhälfte verschwand in den Wolken. Ich war oben. Vielleicht waren es jetzt 9 Uhr, 9 Uhr im Mai in der Provence, das hört sich mild an. Ohne nachdenken zu müssen oder können oder die Temperatur zu spüren, kontrollierte ich noch einmal Reifen und Bremsen und begab mich auf die südliche Abfahrt, die Wolken um mich herum. Das war eine neue Erfahrung: Ausgepumpt mit 75 durch den Nebel. Nur 5 Minuten wird es gedauert haben, bis ich wieder unter den Wolken herausfiel; einen halben Tag habe ich danach noch gefroren, in der Maisonne!
Die Abfahrt ist ein Rausch, auch noch nach 20 Jahren, immer wieder, und sie steht keinem anderen Rausch in irgendetwas nach. Der Unterschied liegt vielleicht darin, ein noch besseres Gefühl zu haben, weil der Rausch durch Arbeit zustande kam. Auf die Auffahrt werde ich nicht verzichten, und wenn dies nicht mehr will, möchte ich auch nicht mehr herab.
 
Es hat schlechtere und bessere Jahre gegeben. Ein schlechteres Jahr erkenne ich daran, nicht einmal mit dem Rad auf dem Ventoux gewesen zu sein. In guten Jahren war ich dann dreimal oben. Die Technik hat sich verändert. 41x25, 41x26, 41x28, 41x30. Schnitt. So kann das nicht weitergehen. Suche. Mountainbikekurbeln.
Mein lieber Kollege Bernd besorgte mir XT Kurbeln in 180, die ich ein wenig umarbeitete, bis sie mir gefielen. Ich fahre sie noch heute, irgendwann sollte ein Kletterfix - Gedanke daraus entstehen. 34x26, 34x27, 34x28, 33x28, 33x30, da bin ich jetzt.
 
In den besten Jahren gebe ich zu, bin ich auf Zeit hochgefahren. Es gibt wenige Strecken, die eine so objektive Einstufung zulassen, vor allem im mittleren Stück der Südseite bis zum Chalet Reynard. Da ist normal wenig Wind, und wer am Plateau de Perrache auf den Tacho sieht, weiss, wo er steht, da kann man sich nichts vormachen. Das lustige mit den Übersetzungen war und ist: je kürzer die Gänge wurden, desto unsportlicher sah mein Rad aus und desto schneller war ich oben, ohne Ausnahme hat jede Verkürzung einen Gewinn gebracht.
 
Inzwischen brauche ich wieder etwas länger, ich halte tatsächlich am Chalet an und wasche mir am Hydranten links den Schweiss von den Armen, esse meinen Riegel und gehe dann auf die letzten 6 Kilometer durch die Steine, die in der Mittagssonne so hell scheinen können, dass man nirgendwo mehr hinschauen kann.
Wind hat es auch bisweilen gegeben....
....so dass man 3 Arme brauchte: einen zum Festhalten des Rades, zwei zum Überziehen der Windjacke. Es ist ein Irrglaube, dass wenn man im oberen Teil des Ventoux das Rad bei Wind auf die Strasse legt, es dort liegenbleibt. Meine 90 kg haben mir ein oder zweimal geholfen, es bis oben zu schaffen, trotz Sturm. Heute bleibe ich unten, wenn in Bedoin 35-40 kmh Wind ist, weil dann oben 70-80 kmh sind. Ich musste es mal probieren, danach ist es gut. Es hat Tage gegeben, an denen ich wie eine lauernde Katze von morgens 8 bis nachmittags um 3 um den Berg herumgefahren bin, immer die Wolkenmütze studierend, um das kleine Zeitfenster am Tage zu erwischen, in dem der Gipfel frei ist. Nach 20 Jahren lernt man ein wenig von dem Berg, und begibt sich nach oben, wenn er noch reserviert ist. Oberhalb des Chalets angekommen, sieht man dann, wie die Kappe langsam schmilzt. Glück heisst, oben Sicht und trockene Luft zu haben. Wenn nach 15 Minuten die Sonne die Kleidung vom Schweiss getrocknet hat, lässt man sich wieder hinabfallen. Nach 30 Minuten Abfahrt, die absolut zeitlos sind, kann man aus Bedoin dann manchmal wieder sehen, wie der Gipfel sich zuzieht.
 
Bergfahren ist Philosophie.
Ohne geistige Einstellung ist eine sinnvolle und befriedigende Fahrerei nicht zu machen.
Ich brauche das Gefühl, in meiner Kraft beschränkt zu sein. Ich muss mich vorbereiten und brauche Geduld.
Mit dem Berg kann ich nicht argumentieren, er ist so, ohne Rücksicht. Mit der geeigneten Einstellung kann ich an einem ausgewählten Tag den Dialog mit ihm aufnehmen, und ich bin glücklich, wenn er mich lässt.
Mit Übermut kann ich trotz physisch objektiv guter Form schnell scheitern, deshalb beginnt man mit Respekt. Wirklich gewinnen kann ich nicht; für wenige Tage in meinem Leben kann ich mit ihm gleichziehen, danach wird er wieder alleine sein.
Seine Hänge waren da noch bevor es Asphalt gab, und es wird Zeiten geben, da ist der Asphalt von seinen Hängen gegangen und andere Zustände sind gekommen.
Ich kann es nicht wirklich erklären, woher die Liebe zu jpg.Ventoux kommt, aber das ist auch nicht nötig.
 
Mont Ventoux
 
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